Institutioneller Rassismus ist kein Fehltritt einzelner Polizist*innen, sondern ein Strukturproblem, das in behördlichen Routinen und Entscheidungsmustern entsteht. Gerade weil er oft unbewusst wirkt, bleibt seine Wirkung umso gravierender – für Betroffene wie für Institutionen selbst. Für die Polizei, Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols, ist die Auseinandersetzung damit nicht nur politischer Auftrag, sondern Kern polizeilicher Professionalität und Grundrechtstreue.
Der Fall des 21-jährigen Lorenz A., der am 20. April 2025 in Oldenburg auf der Flucht durch fünf Polizeischüsse getötet wurde, rückte diese Debatte erneut in den Fokus. Besonders umstritten ist, dass die Bodycams beim Schusswaffeneinsatz nicht automatisch aktiviert waren – eine Entscheidung, die nicht nur Transparenz verhindert, sondern auch Misstrauen schürt. Dass der Getötete Schwarz war, verstärkte die bereits bestehende Sorge marginalisierter Communities, diskriminierende Mechanismen könnten strukturell verankert sein. Der Tod des 21-jährigen sorgte für Unsicherheit in Oldenburg und wurde zum Anlass für einen offeneren Dialog.
Am 22. September 2025 lud die niedersächsische Landtagsabgeordnete Lena Nzume (B90/Grüne), zusammen mit lokalen Initiativen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, zur Veranstaltung „Brücken bauen zwischen Polizei und Zivilgesellschaft“ in das Veranstaltungszentrum CORE Oldenburg ein. Vertreter*innen aus Polizei, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutierten miteinander — mit dem Ziel, Vertrauen neu zu gewinnen, Verantwortung zu benennen und Perspektiven für einen gerechten und diskriminierungsfreien Alltag zu entwickeln. Zu Beginn war die Atmosphäre angespannt, doch der Ton war bestimmt von dem Willen zum Zuhören und Verstehen. Der Abend zeigte eindrücklich: Vertrauen entsteht durch Begegnung und Offenheit, nicht durch Abgrenzung und Abwehr.
In der Diskussionsrunde wurde klar, dass der Vertrauensverlust Auswirkungen auf alle Menschen hat — insbesondere auf diejenigen, die bereits marginalisiert sind: Straftaten werden seltener angezeigt, Beschwerden über diskriminierende Praktiken bleiben oft wirkungslos, politische Entfremdung wächst. Gleichzeitig machten Expert*innen deutlich, dass institutioneller Rassismus und Racial Profiling keine abstrakten Gefahren sind, sondern reale Risiken im Polizeialltag — sie verzerren die Wahrnehmung von Gefährdung und erhöhen das Risiko für ungerechtfertigte Kontrollen, Missbrauch und Gewalt.
Einen Ausweg kann es nur geben, wenn Polizei und Gesellschaft bereit sind, bestehende Machtverhältnisse, Kontrolllücken und strukturelle Nachteile zu benennen und zu überwinden. Der erste Schritt: unabhängige Beschwerdestellen, verpflichtende Kontrolle, und Transparenz bei Zwangsmaßnahmen. Nur so kann das Vertrauen wiederhergestellt werden — und eine Polizei entstehen, die für alle Menschen Schutz und Sicherheit garantiert.
Am 28. November 2025 bekam diese Debatte politischen Rückenwind: Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen verabschiedete den vom Diversitätsrat eingebrachten Antrag „Institutionellen Rassismus in Sicherheitsbehörden überwinden – Sicherheit für alle Menschen schaffen“. Darin gefordert werden unter anderem die Öffnung der Polizei für unabhängige Forschung, Kennzeichnungspflichten, anonyme Meldestrukturen, automatisierte Bodycam-Aktivierung bei Zwang, sowie verpflichtende Antirassismus- und Diversitätsmodule in Ausbildung und Fortbildung. Der Antrag ist ein klarer Weckruf: Rassismus darf nicht länger als „Einzelfall“ verharmlost werden — er muss als das angesprochen werden, was er ist: systemischer Missstand.
Für PolizeiGrün ist klar: Diese Debatte dient nicht der Delegitimation der Polizei – im Gegenteil: Sie stärkt ihre demokratische Legitimität, ihre Professionalität und ihren Auftrag zu Schutz und Rechtssicherheit für alle. Eine Polizei, die ihre eigenen Kontrollrisiken reflektiert, trifft entschiedenere, rechtssichere und gerechtere Entscheidungen. Sie erkennt Gefahren frühzeitiger, reduziert Fehlentscheidungen und baut Vertrauen auf – zu Bürger*innen, aber auch innerhalb der Institution.
Der Abend im CORE Oldenburg war ein wichtiger Auftakt. Er hat gezeigt: Brücken entstehen nicht durch perfekte Antworten, sondern durch ehrliche Fragen, Offenheit und den Willen zur Veränderung. Mit dem grünen Beschluss vom 28.11.25 beginnt nun eine politische und institutionelle Verpflichtung: Haltung zeigen, Mechanismen prüfen und Strukturen reformieren.
Denn Sicherheit ist ein Grundrecht — Rassismus darf nicht Teil polizeilicher Routine sein.
Quellen
- Artikel „Brücken bauen zwischen Polizei und Zivilgesellschaft“ auf der Website von Lena Nzume, 22. September 2025, CORE Oldenburg. Lena Nzume MdL
- Ankündigung der Podiumsdiskussion „Brücken bauen zwischen Zivilgesellschaft und Polizei“ auf der Website des Stadtverbands BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oldenburg. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Pressebericht zur Debatte nach dem tödlichen Polizeischuss auf Lorenz A. in Oldenburg (taz).
Foto: BDK 2025 in Hannover nachdem der Antrag angenommen wurde (auf dem Foto v.r.n.l.: Pegah Edalatian, Djenabou Diallo Hartmann, Doreen Denstädt, Michael Labetzke, Madeleine Henfling, Christian Martz, Dominik Dommer)