Insgesamt wurden 1.112 offene Haftbefehle vollstreckt, rund 8.300 unerlaubte Einreisen registriert und gut 100 Hooligans an der Einreise gehindert. Hört sich erst einmal nach einem vollen Erfolg an.
Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass dauerhafte stationäre Grenzkontrollen an 2.000 Kilometern Binnengrenze personell nicht zu stemmen sind. So waren während der EM täglich alleine 22.000 der insgesamt 52.000 Bundespolizist:innen täglich (!) im Einsatz. Dieser größte Kraftakt in der Geschichte der Bundespolizei war nur durch Urlaubssperren und dem Aufbau von Überstunden möglich und hat diese Bundesbehörde definitiv an ihre Belastungsgrenze gebracht.
„Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass diese vermeintlichen Erfolge einen hohen Preis haben, der eine personelle Überlastung der Bundespolizei bedeutet.“ (Armin Bohnert, PolizeiGrün)
Überhaupt Statistik: Bei den Haftbefehlen handelte es sich in der Hauptsache von Fällen der Klein- und Allgemeinkriminalität, bei den sog. „Schleusern“ im Regelfall um die Fahrer. Eine nachhaltige Bekämpfung der Schleusungskriminalität sieht anders aus. Sie braucht vor allem bei der Bundespolizei eine erhebliche Stärkung der Kriminalitätsbekämpfung und Ermittlung als Schwerpunktsetzung, wie Kriminalitätsexpert*innen nicht erst seit dieser EM vehement fordern. Auch lohne sich eine genauere Betrachtung des Verhältnisses von durchgeführten Kontrollen zur Bilanz. Da wirkt das Ganze schon gleich viel weniger erfolgreich. Klar sein muss auch, dass das hier eingesetzte Personal, das überwiegend extra zu den Kontrollstellen herangeführt werden musste, an anderen Stellen fehlte. Und nach der EM werden die bundesweiten Einsatzanlässe mit Sicherheit nicht weniger, die Kriminalität verharrt mindestens weiter auf hohem Niveau, es wird weiterhin viel demonstriert und die neu Fußballsaison steht vor der Tür. Es ist aber nicht nur eine Frage von -nicht vorhandenem- Personal. Es fehlt auch an Ausrüstung. Zur Durchführung effektiver, moderner und vor allem flexibler Grenzkontrollen, also die Rückkehr zur ohnehin durchgeführten sog. Schleierfahndung im Grenzraum, benötigt die Bundespolizei effektive Einsatzmittel wie Drohnen und Kameras, moderne Fahndungs- und Bearbeitungsfahrzeuge sowie flexible Kontrolleinrichtungen. Und somit insbesondere mehr Geld, sprich Haushaltsmittel.
„Augenscheinlich ist es Spitzenpolitikern von Union und FDP mittlerweile egal, wie unsinnig -weil praktisch nicht durchführbar- ihre Forderungen sind“. (Michael Labetzke, PolizeiGrün)
Mal abgesehen von der Frage der Sicherheit, sind dauerhafte stationäre Grenzkontrollen überaus problematisch: Der Warenverkehr, gerade für einen Exportnation wie Deutschland von hoher Bedeutung, käme massiv ins Stocken und würde der heimischen Wirtschaft enormen Schaden zufügen. Da spielen die Wartezeiten von Berufspendler*innen und Tourist*innen schon fast eine untergeordnete Rolle. Die Forderung nach dauerhaften Grenzkontrollen überrascht auch vom Zeitpunkt her. So unmittelbar nach der Europawahl scheinen CDU/CSU und FDP vergessen zu haben, wie das Haus Europa gebaut ist. Sonst würden sie nicht unisono an dessen Fundament rütteln. Zur Erinnerung: Der Schengen-Raum ist einer der Grundpfeiler des europäischen Projekts. Mit dem Inkrafttreten des Schengener Übereinkommens 1995 wurde die Abschaffung der Grenzkontrollen in diesem Raum Wirklichkeit und damit das Recht auf Freizügigkeit. Der Schengen-Raum, der „grenzenloses Reisen“ ermöglicht, zählt zu den greifbarsten Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses. Es muss allen klar sein, dass die Wiedereinführung der dauerhaften Grenzkontrollen einem Todesstoß des Grundgedankens der Europäischen Union zu mindestens nahekommt. Es wäre von daher mehr als anständig gewesen, wenn die Unionsparteien und die Liberalen schon vor der Wahl diese im Kern Europa feindliche Haltung offen kommuniziert hätten.