Aus unserer Sicht handelt es sich um ein politisch motiviertes Misstrauensvotum gegen die Kolleginnen und Kollegen in Berlin. So geht es nicht!
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— GdP Hamburg (@GdP_HH) May 22, 2020
Und ich kann verraten: auch in den meisten Internetforen und Dienstgruppenchats, in denen sich Polizistinnen und Polizisten privat austauschen, ist dies nicht gerade ein unbeachtetes Thema.
Aber was ist denn nun dran an den Vorwürfen?
Nun, erst einmal darf festgestellt werden, dass der Schutz vor Diskriminierung ein elementarer und immer
wichtigerer Arbeitsbereich der staatlichen Verwaltung geworden ist. Und das ist gut so, hat Deutschland hier doch im Vergleich zu anderen Staaten Nachholbedarf und wurde bereits zur Umsetzung von Maßnahmen für
einen verbesserten Rechtsschutz angemahnt.
Weiterhin ist nicht ganz unbedeutend, dass mit dem in Rede stehenden Gesetz staatliches Handeln allgemein einem schärferen Blick in Hinsicht auf Diskriminierungsfreiheit ausgesetzt wird. Das betrifft also nicht einzig die Polizei. Es verwundert aber nicht, dass aus dieser Berufsgruppe der lauteste Widerspruch ertönt. Einerseits, weil man diese Rolle seit Jahrzehnten perfekt adaptiert hat, andererseits aber auch, weil polizeiliches Einschreiten zweifellos häufig einen größeren Impact hat, sowohl auf die oder den Betroffenen als auch auf die Öffentlichkeit. Die Polizei ist der sichtbarste Teil der staatlichen Exekutive. Und aus einem gewissen Diskriminierungsschutz heraus muss erkannt werden, dass auch Polizeibedienstete erst einmal das Recht haben, sie betreffende Neuerungen kritisch zu hinterfragen.
Aber: sind wir hier noch in einer Phase des Hinterfragens und des gegenseitigen Austauschs von Argumenten? Darüber ließe sich streiten.
Mitnichten ist an den Vorwürfen etwas dran, dass Polizistinnen und Polizisten ab Inkrafttreten des Gesetzes nun „Freiwild“ der Kriminellen und Polizeihasser seien. Dass sie gnadenlos mit (möglicherweise haltlosen) Vorwürfen überzogen werden und für diese Neuregelung dann auch noch persönlich den Kopf hinhalten müssen, Beförderungsstopp, Privatklage und Karriereende ggf. inklusive.
Wer so argumentiert, hat das Gesetz nicht gelesen oder will es bewusst falsch öffentlich darstellen. Der neue, ergänzte Rechtsschutz bedeutet, dass Adressaten weniger hohe Hürden zu nehmen haben, wenn sie berechtigt auf Fehlverhalten in Form von Diskriminierung hinweisen wollen.
Eine Beweislastumkehr ist das nicht, egal wie oft dies in Pressemeldungen und auch in Artikeln verschiedener Zeitungen zu lesen ist. Und es haftet auch keine Polizeikollegin und kein Kollege persönlich, vielmehr tritt eine Amtshaftung ein, sollte tatsächlich eine Diskrimierung durch Ermittlungen bewiesen werden. Aber wovon reden wir eigentlich? Man könnte den Eindruck bekommen, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Natürlich gibt es Diskriminierungen bei staatlichen Handlungen. Überall auf unserer Erde. Aber die Möglichkeiten, sich dieser berechtigter Weise zu erwehren, verbessern sich.
Es ist doch schlicht falsch, wenn nun behauptet wird, dass ein
solches Gesetz auf einmal die Dämme brechen ließe. Auch heute kann jedermensch bei dem Verdacht auf unkorrektes polizeiliches Einschreiten mithilfe von Dienstnummer(nkarte), Dienstkennung auf der Dienstbekleidung, Nummernschild des Einsatzfahrzeugs oder durch von der Sache angefertigte Bild- oder Filmaufnahmen eine Beschwerde formulieren, die in aller Regel verfolgt wird. Auch hieraus erwachsen häufig bereits Sensibilisierungen der beschwerten Dienstkraft oder gar disziplinarische oder Strafermittlungen. Und in diesen Fällen weist keine mir bekannte Beschwerdestelle eine Petentin oder einen Petenten ab, nur weil er keine gerichtsfesten Beweise beisteuert.
Um was geht es also wirklich?
Ich vermute, um den altbekannten Beißreflex, wenn der Polizei mutmaßlich neuer Sand ins Getriebe gestreut wird. Genau so war es, als den ersten Polizeibehörden eine individuelle Kennzeichnungspflicht ihrer Dienstkräfte auferlegt wurde. Und so ist es gegenwärtig bei der Diskussion
um die Etablierung unabhängiger Polizeibeauftragter, die als externe
Beschwerdestellen mehr Neutralität und Rechtssicherheit für Betroffene gewährleisten sollen. Beides übrigens internationaler Standard.
Viele Kritiker bemängeln an dem Gesetzesentwurf, wenn sie schon nicht polemisieren, dass der Verwaltungsaufwand „enorm“ wäre, die zu erwartende Flut an Meldungen zu bewältigen.
Nun, die staatliche ausführende Gewalt im Allgemeinen und die Polizei im Besonderen haben sich gewandelt. Vor Jahrzehnten wäre das undenkbar gewesen, soviel ist klar. Aber auch
andere Neuerungen und Ausflüsse betonter Rechtsstaatlichkeit wie die
bereits erwähnte Kennzeichnungspflicht oder auch die Einführung
des Informationfreiheitsgesetzes (IFG) haben nicht zum Untergang des polizeilichen Abendlandes geführt. Wurde doch behauptet, die Kolleginnen
und Kollegen würden zu (Achtung: schon damals!) „Freiwild“ erklärt und Straftäterinnen und Straftäter könnten sie anhand einer Kennzeichnung leichthin bis ins private Umfeld verfolgen und belangen. Passiert ist: nichts dergleichen. Und der befürchtete Verwaltungswahnsinn, der durch das IFG jedermensch berchtigt, allgemeine Auskünfte zu Verwaltungshandeln oder auch zu Inhalten polizeilicher Dateien und
Sammlungen über sich zu erhalten… hat es die Polizeiverwaltungen lahmgelegt? Nein.
Es gilt wohl wie so häufig bei Änderungen, die sich pro Bürger- und Freiheitsrechte auswirken und somit automatisch polizeiliches Handeln beeinflussen könnten, dass die
Polizeilobby Stimmung dagegen macht.
Begreiflich ist mir das nicht. Denn wer gute, im Sinne der Rechtsstaatlichkeit richtige Arbeit macht, muss eine Kontrolle nicht fürchten. Und wer der Polizei Böses will, braucht dafür nicht das neue Gesetz.
Übrigens am Rande: viele der Kritiker, die dieses „unfassbare“ Gesetz anprangern, beziehen sich argumentativ auf einen Artikel des auch schon gern einmal von der AfD zitierten Kolumnisten Gunnar Schupelius im Berliner Boulevardblatt „BZ“. Dies wäre schon Grund genug, kritischer mit der eigenen Kritik ins Gericht zu gehen. Aber jener Gunnar Schupelius war es doch, der 2014 in einem Rant über einen Berliner Rechtspolitiker – ja: über den Abgeordneten Dirk Behrendt – schrieb:
Er wirft ein Schlaglicht auf das gestörte Verhältnis der grünen Partei zur Polizei. Viele Politiker der Grünen tragen eine tief sitzende Aversion gegen die Polizei mit sich herum wie eine Krankheit. Man könnte das Verhältnis der Grünen zu diesem Staat und seiner Ordnungsmacht auch als pervers bezeichnen.
Das hört sich nach vielem an, in meinen Augen aber nicht nach sachlich-fundiertem, objektiven Journalismus. Und ja, vielleicht ist
das auch etwas zutiefst Persönliches zwischen Gunnar Schupelius und Dirk Behrendt.
Das sollte man vielleicht wissen.
Oliver von Dobrowolski
1. Vorsitzender PolizeiGrün
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