Bei den jüngst bekannt gewordenen Vorfällen in Frankfurt am Main
(NSU 2.0) und an anderen Orten in Hessen handelt es sich um verstörende und abstoßende Vorwürfe.
In den vergangenen Monaten und Jahren gab es jedoch bereits mehrfach ähnliche Entgleisungen von Polizeibediensteten, und das bundesweit. Die fremdenfeindlichen Inhalte in einer WhatsApp-Gruppe von Studierenden der sächsischen Polizeiakademie, das neulich durch Investigativjournalisten aufgedeckte Hannibal-Netzwerk um rechtsextreme Prepper und Umstürzler, die sich auch aus Soldaten und Polizisten rekrutiert haben, sowie der ganz aktuell bekannt gewordene Fall eines Berliner
Polizisten, der illegal Adressen von politisch Andersdenkenden aus dem polizeilichen EDV-System gesammelt hat, um den Personen Drohbriefe zuzuschicken. Hinzu treten verschiedene Vorfälle, in denen Polizisten – oft betrunken – außerhalb ihres Dienstes Menschen mit Migrationsgeschichte bedrängt, beleidigt oder verprügelt haben…
Sind dies die „bedauerlichen Einzelfälle“, die insbesondere die Polizeigewerkschaften aus den Tiefen ihrer rhetorischen Rechtfertigungs- und Beschwichtigungskiste zaubern?
Es ist anzunehmen, dass deutlich zu viel geschehen ist, um die Vorfälle noch als Einzelfälle deklarieren zu können. Man bedenke zudem das als enorm einzuschätzende Dunkelfeld.
Wenngleich eine pauschale Generalbeschuldigung aller Polizist*innen natürlich unsachlich ist – mit der Einzelfall-These tut man der Gesellschaft und auch der Polizei selbst keinen Gefallen. Sie ist falsch und töricht.
Nachdem auch zunehmend die Mainstreammedien die Vorfälle in ihre Berichterstattung aufgenommen haben, ist der Bevölkerung nicht zu verdenken, wenn
sie Zweifel in die Struktur der deutschen Polizei hat. Wenn sie annehmen,
die Polizei könnte im Innern an Missständen kranken, die rechtsextreme Umtriebe begünstigen.
Zwar sollte angesichts unserer Geschichte die Abwehr von rechtsextremen und neofaschistischen Ansichten fest in der DNA deutscher Beamter verankert sein.
Jedoch haben Polizeikräfte – gerade auf der Straße – im täglichen Dienst häufig mit Randgruppen zu tun; die daraus entstehenden Stereotype und Vorurteile entfalten sich dann, wenn man nicht zureichend über die gesellschaftlichen Ursachen informiert ist.
So gesehen können sich radikale und sogar extremistische Einstellungen im Laufe der beruflichen Laufbahn manifestieren und werden auch an Auszubildende weitergegeben.
Doch was kann oder muss man tun, um den offenkundigen Problemen Herr zu werden?
Folgende Lösungsansätze bieten sich an:
- Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen, auch als niedrigschwellige Anlaufstellen für Polizist*innen,
- verstärktes Angebot verpflichtender Kommunikationsseminare und Seminare zur Stärkung der Diversitykompetenz,
- verstärkte politische Bildung (Aus- und Fortbildung),
- verstärkte Einstellung von Menschen mit Migrationsgeschichte,
- Wiederaufnahme einer gezielten Frauenförderung,
- Sensibilisierung der Vorgesetztenebene (Institutionalisierung regelmäßiger, verpflichtender Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräche),
- Etablierung verbesserter Verfahren der Personalauslese,
- Akzentuieren von Transparenz und Fehlerkultur, um Korpsgeist entgegenzuwirken,
- offensive, proaktive Öffentlichkeitsarbeit bei Vorwürfen von Fehlverhalten,
- Einleitung von Forschungsvorhaben, die einen Iststand extremistischer Ausprägungen bei Polizeibediensteten beleuchten sollen,
- Entwicklung von Handlungsempfehlungen, um präventiv gegen Strömungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorzugehen.
Ein TV-Interview zum Thema, das der
Westdeutsche Rundfunk (Aktuelle Stunde) mit unserem 1. Vorsitzenden Oliver von Dobrowolski geführt hat, kann in der Mediathek eingesehen werden.